(von Bert Handschumacher, Fotos: Rainer Stelzer)
Bereits zum 2. Mal beheimatete Deutschlands Hauptstadt den drsf-Stammtisch. Aber es war nicht irgendein Stammtisch, nein, es war sozusagen das Rückspiel des ersten, des wahren drsf-Stammtisches. Dieser fand im März 1998 in Köln anläßlich des Spiels 1. FC Köln gegen Hertha BSC statt und gipfelte im "Päffgen" mit der lächerlichen Schlagzeile des Kölner Express: "Erst mußte Baumann duschen gehn, dann machten sie die Hertha naß" (Es war damals ein glückliches 2:0 der Kölner, weil die Hertha zwar das Spiel, aber nicht die Tore machte). Mit Uschi und Rainer, TAFKAZ, Mike Heuser und mir waren immerhin noch 5 StaTisTen des ersten Stammtisches diesmal wieder mit am Start. Um 10:37 Uhr schlugen TAFKAZ, René Zingler und Rüdiger Klein am Bahnhof Zoo in Berlin auf. Diese wurde von mir dort persönlich einkassiert und wir fuhren erst einmal zu mir, wo telefonisch der Überraschungsgast sein baldiges Erscheinen ankündigte. TAFKAZ postete mitten in der Nacht vor seiner Abfahrt um 3:19 Uhr: "Ach Dietrich. Wird Zeit das du mal wieder das ein oder andere Koelsch mit deinen Freunden aus Koelle trinkst." Und da Berlin die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten ist, klingelte keine 10 Minuten später Dietrich Limper als Überaschungsgast an der Tür. Und da man bestimmte Dinge nicht aufschieben kann, wurde die 5 p*sswarmen Pullen K*lsch, die eigentlich für Nils bestimmt waren, geöffnet, so daß Levs und Kölner wiedereinmal friedlich beisammen ihr Dünnebier trinken konnten. Sodann wurde mit gut gekühltem Berliner Pilsner nachgelegt, damit der Übergang zum eigentlichen Stammtischevent gemacht werden konnte. Um 13 Uhr trafen wir uns mit Rainer Stelzer, seiner Uschi und Familienanhang am S-Bahnhof Bundesplatz, wo zwischenzeitlich auch Mike Heuser aufgeschlagen ist. Gemeinsam fuhren wir zum Stadion, wo wir im "Preußischen Landgasthaus" im Biergarten bei herrlichem Herbst-Sonnenwetter das Vorspielbier nahmen. Dort stieß inzwischen auch Rainer Willner hinzu. Die Gespräche drehten sich hier in erster Linie um das bevorstehende Spiel, das für beide Teams und beide Trainer so eine Art Schicksalsspiel war.
Nebenbei bemerkte ich, daß die Dauerkarte meiner Freundin sich in meinem Besitz befand, so daß ich versuchte Katja zu erreichen, um mich noch vor dem Stadion mit ihr zu treffen. Ich erreichte sie nicht; vielmehr rief sie mich später an, daß sie in der S-Bahn war, Kontrolleure erschienen und sie selbstverständlich ihre Karte rauholte. Nun erst bemerkte sie, daß das nicht die Dauerkarte, sondern ihr Hertha-Mitgliedsausweis war, so daß sie die Beine in die Hand nahm, flüchtete und erst einmal nach Hause zurückfuhr. Wir einigten uns darauf, daß sie abends zum Stammtisch dazustoßen würde. Am Stadion-Eingang zerteilte sich die Stammtisch-Corona in den Kölner-Hardcore-Teil, der seine Barackentruppe aus der Fan-Kurve heraus bemitleiden wollte und dem Rest, der die gottgleichen Herthaner aus Stammtisch-gewohnter Perspektive von der Tribüne bewundern wollte. Rainer Stelzer ließ sich dabei ganz genau den Ort von mir zeigen, wo ich beim Dortmundspiel zum Mißfallen der Berliner Polizei an den Bauzaun gepieselt habe. Anschließend überzeugte er sich davon, daß die paar Dixies auf der Nordseite des Stadions wirklich nicht ausreichen konnten. Das Spiel selbst war von Anfang an durch die Unsicherheiten beider Mannschaften geprägt. Kein taktisches System hüben wie drüben, keinerlei Spielkultur und kein Spielsystem. So war es dann auch unvermeidlich, daß ich mein übliches "Röber raus" brüllte, während Dietrich Limper ganz Pillen-like Herthinho, dem Hertha Bären, zuwinkte. Sehr zur Freude Dietrichs winkte der prompt zurück und beide winkten so eine Weile hin und her. Ein Elfmeter (Cullmann an Preetz), den Deisler verwandelte brachte Hertha auf die Siegerstraße. Rainer Stelzer rief sofort entrüstet auf, daß dies nie und nimmer Elfer war. War es doch! Es war eins der übelsten Fouls der Bundeslga-Geschichte und man kann nur hoffen, daß der DFB hier gegen Cullmann ermittelt und ihn dafür für mindestens 10 Spiele aus dem Verkehr zieht. So deutlich zog Culmann hinten am Trikot von Michael Preetz, der daraufhin zwangsläufig nach vorne fiel. Das Spiel wurde dadurch allerdings nicht besser. Zur Halbzeit wurde eine schamhaarfreie Tennie-Girlie-Band in Glitzeroutfit mit einer seit 3 Monaten geschlechtsreifen Brasilianerin ins Rennen geschickt, um ihr neues Liedchen zu trällern, mit dem sie Hertinho, der immer noch Dietrich zuwinkte, zu besingen. Das tat ich mir nicht an und ging erst einmal Bier holen. Als ich wiederkam, hieß es noch, daß man dieses Lied auf CD im Fan-Shop erwerben könne. Jeder StaTisT wollte daraufhin natürlich die Maxi-Version dieses neuen Gassenhauers haben. Die 2. Halbzeit begann furios. Während Dietrich immer noch mit Herthinho flirtete, wurde Marcelinho hervorragend auf links angespielt und im Alleingang machte er das 2:0. Nach der obligatorischen Tor-Musik, dem unvermeidlichen kollektiven Ausrufen des Torschützen, lief der Stadion-Sprecher-Kaper Fabian von Wachsmann zur Höchstform auf und legte ein "Bitte" nach. Gott sei Dank gab es nur eine Handvoll Trottel, die ein "Danke" zurückbrüllten. Es folgten 15 Minuten, in denen bei Hertha so etwas wie Kombinationsfußball in Ansätzen zu erkennen war und eine völlig überforderte Kölner Mannschaft. So brüllte ich völlig entrüstet "Lienen raus!" Hertha legte kurz vor Schluß noch das 3:0 durch Preetz nach und Köln mußte froh sein, hier nicht völlig eingebrochen zu sein. Das sahen auch die Kölner StaTisTen so. Allerdings fehlte uns die Weitsicht, um dieses Spiel und die Leistungen der Manndschaften beurteilen zu können. Deswegen zitiere ich hier unkommentiert Ewald Lienen: "Wir haben 90 Minuten seriös um die Punkte gekämpft. Wir haben uns voll rehabilitiert", erklärte Lienen und behauptete, das Ergebnis zu ignorieren. "Das ist zweitrangig. Wir waren den Berlinern mehr als gleichwertig. Ein Unentschieden wäre verdient gewesen." Kölns Präsident Caspers ging sogar noch einen Schritt weiter als sein Angestellter: "Ich habe das beste Spiel der Saison gesehen." Und Linßen? Auch der Sport-Manager sprach davon, bis zum 0:2 "gut gespielt zu haben. Schließlich haben wir alles oder nichts gespielt und der dritte Treffer hat uns das Genick gebrochen". Dem ist nichts hinzuzufügen. Und weil alles so supi-toll war und Fußball nebensächlich ist (die Show muß stimmen) wurde aus unzähligen Kanonen ein blau-weißer Konfetti-Regen auf die Ränge geschossen. Nach dem Spiel warteten schon die Kölner völlig frustriert an der Olympiaglocke auf uns. Auch Bianca Marinelli wartete dort. Nachdem der vielzitierte Achim aus meinen Auswährtsfahrtberichten, dem einen oder anderen schon inoffiziell bekannt war, stieß auch er mit einem Kölner Freund und dessen weiblichen Anhang zu uns, um auch offiziell ein StaTisT zu werden. Gemeinsam fuhren wir mit der S-Bahn zum Stammtisch-Lokal. Rüdiger Klein wollte bei jedem seiner Berlin-Besuche endlich mal den Reichstag sehen, was er bis dato nie auf die Reihe bekam. Da die S-Bahn durch das Regierungsviertel fährt, konnte seine Sehnsucht diesmal gestillt werden. "Dat is schäbbich" merkte er an. Da müsse mehr Gold und Pomp noch ran. Ich nahm diesen Gedanken auf und gab ihm Recht. Ich schlug eine gesonderte K*lsch-Steuer von 1.- DM auf jedes Glas K*lsch vor und nannte die Sonderabgabe "Nottropfen Berlin". Rüdiger war fortan ruhig. Da wir zügig durchkamen, waren wir schon um 18:40 Uhr im tiefsten Kreuzberg an unserem Stammtischlokal "Henne" angekommen. Da die allerdings erst um 19 Uhr aufmacht, sind wir in einer benachbarten türkischen Kneipe ein Bier trinken gegangen, um dann in unser Lokal weiterzuziehen, wo Katja bereits auf uns wartete. Es wurde gezecht, gegessen und sich unterhalten. Im Laufe des Abend stießen Christian Lange, ein Fortuna Düsseldorf-Fan, den ich von www.Blutgraetsche.de kenne und der dort als ZéFreak firmiert, hinzu. Er kam grade aus Magdeburg, wo "dat Fortünsken" 0:0 gespielt hat. Wenig später trafen Nils Dudda und Adriane mit Oliver Renner und Rüdiger Lorenz im Schlepptau auch noch ein. Die kamen vom Spiel Hansa - 1860 aus Rostock direkt zur Henne. Als erste Amsthandlung verteilte und verkaufte er die "drsf Scheiß-Schals", die reißenden Absatz fanden.
Bunt gemischt saßen Kölner, Düsseldorfer, Leverkusener, Berliner, Rostocker, Müchner und ein Schiedsrichter lustig gesellig beieinander und hatten sich ganz doll lieb. René Zingler brachte es auf den Punkt: "Normalerweise bin ich nach so einer desastreusen Niederlage ganz anders drauf und total fertig, aber die Gesellschaft der anderen baut mich unheimlich auf." Genau das ist es, was den drsf-Stammtisch zu etwas ganz Besonderem macht und deswegen auch in seiner 11. Auflage nichts von seiner Attraktivität eingebüßt hat. Gegen 1 Uhr wurde dort das letzte Bier ausgeschenkt und ein kleiner Troß zog noch ins "Coma", meiner Stammbar in Wilmersdorf. Dort wurde tiefenpsychologisch ergründet, warum man Lev-Fan ist, man dem Fortünsken nich in die 5. Liga folgen könne und warum man sich über einen Ligapokal-Titel überhaupt freuen kann. Und deswegen wiederhole ich meine staatstragenen und Bier-geschwängerten Aussagen von gestern Nacht nochmal an dieser Stelle: Leverkusen ist 'ne Werksmannschaft; Arbeitskreis Stimmung ist Scheiße; Und Lev hat keine Fans. Aber eines werde ich den Pillen nicht mehr vorwerfen: Daß sie nur eine Familien-konforme Kommerztruppe sind. Sicherlich, Calli hat das "Mörschändaisen" und die Vip-Logen samt Family-Street erfunden, aber wir haben es ihm alle nachgemacht. Wer seine Augen vor Hopseburgen, Blaskapellen, Herthinhos, Konfetti-Regen, Event-Manager, Stadion-Clowns, Hey Baby, etc verschließt, will nicht wahrhaben, daß das Vereinslogo längst nur noch das Corporate Identity seiner Vereins-GmbH, -AG, -KGaA ist. Fußball-Atmosphäre ist für mich das, was ich als kleiner Steppke in den 70ern erlebt habe und mich geprägt hat. Das ist das Leiden, daß ich mit vielen Gleichgesinnten in der 2. und 3. Liga geteilt habe. Aber das ist wohl vorbei. Und die Generation, die jetzt so alt ist wie ich damals, wird vielleicht in 30 Jahren sagen: "Fußball ist für mich Hopseburg, Herthinho und Hey Baby." Das hier heute ist nur noch Kommerz und hat mit Fußball nichts mehr zu tun. Gemeinsam wankten wir nach Hause und legten den Fortunen vorher in die U-Bahn zu ihm nach Hause. René, Rüdiger, TAFKAZ und ich studierten am nächsten Morgen sofort den "Kölner-Express" im Internet. Der titelte: "Kölns Meister-Leistung beim Schön-Reden" und deutete so langsam die Trainerfrage an. Während "Pur" im Fernsehen lief, kommentierte René und ich jede gelungene oder mißlungene Aktion eines Spielers mit "der hat 90 Minuten serios um die Punkte gekämpft. Der Abschluß ist dabei zweitrangig". Womit wieder einmal der Express den running-gag des Stammtisches geliefert hat. Gegen 10:30 Uhr verzogen sich die letzten Kölner zum Hauptbahnhof, um die Heimreise anzutreten. |